Donnerstag, 24. Juli 2008

Abbrennen

Meine zwei Freunde brechen auf
ich bleibe noch sitzen, müde

die letzten Kebabreste
die erste richtig warme Sonne
viele Menschen im Kaffee und auf der Strasse: Es ist Samstag ende April!

Eigentlich bin ich gut gelaunt

Das Portal von St. Pierre zieht mich an
in den Schatten treten; kühle Stille.
Nur eine Frau
die die Blumen in den Vasen zurechtrückt
ich setze mich
in den bunten Fenstern Geschichten:

Maria mit dem Kind
zwölf Männer mit Ihm;
ein Sklave windet sich.

Meine müden Beine zieht es zu den Kerzen

ich nehme eine Mittelgrosse
- lange brennen, aber nichts übertreiben!
trage sie in beiden Händen, sie
die plötzlich so viel bedeutet, die ich aus Wachs
zum Symbol formte als ich sie sah

kurz innehalten
die Gefühle ganz aufsaugen

dann den Docht in andere Flammen halten, sehen
wie das Feuer der anderen Bittsteller
übergreift

sie brennt ruhig, kein Flackern
das beruhigt mich, als läse ich in einer Hand
dass mich nichts überraschen wird:
Mein Krebs wird abbrennen
und am Ende seines Wachses
(vom allumfangenden Sauerstoff verfolgt)
erschöpft erlöschen
nur einen schwarzen Docht zurücklassen der allein nicht LEBENSfähig ist

diese Chemo aus Sauerstoff
für diesen wächsernen Krebs
wird nicht flackern
wird ruhig seinem Ende zubrennen
- schon im Kalender notiert, und ich werde nichts, nichts radieren!

dies Symbol geht mir durch alles
ich knie sogar
auf dem Schemel vor den Kerzen, den Bildern,
die ich nicht kenne

ich der ich nicht glaube
habe tatsächlich
sozusagen gebetet
die Menschen die eintraten nicht bemerkt

und mein Krebs bleibt in dieser Kirche zurück
abbrennend

ich trete hinaus!
Auf meinen müden Beinen.


27. April 2008

Sonntag, 20. Juli 2008

Das Knüpfen der Netze der liebenden Nornen

Wo alle Fäden zusammenlaufen
das, was
unbedingt, allem!
widerstehen muss:

Geduld.

Sie hat eine Säule
die heißt Hoffnung
und ein stoischer Atlas
stützt.


Wenn du nicht aufgeben kannst
halte aus und hoffe.

Bist du ein Glücklicher
so spinnen dir Liebende das Garn
aus dem du Netze knüpfst
die dich tragen.


20. Juli 2008

Gras essen

Ich bin eine Katze
die sich andauernd das Fell säubern muss
das Haarknäuel quillt beständig, das Schlucken kämpft an -
ich muss Gras essen
viel Gras essen
der Knäuel muss raus
der klagende Magen muss
endlich
schweigen


12. Juni 2008

Bleiben

Wenn es eine Straße gibt, musst du sie abgehen
(dem Ziel entgegen)
( - - vielen ist es noch schwierig
ein Ziel zu haben - - )
Wenn es ein Waldweg ist, musst du langsamer tun
(und den Wald genießen)
Wenn kein Weg mehr sichtbar ist, musst du dich umschauen
durch das hohe Gras in die richtige Richtung gehen
(manchmal weist sie dir die liebende Welt
manchmal musst du sie geduldig suchen)
vorsichtig, um nicht in den Eingängen der Tierwohnungen zu stolpern
Durch Seen, Bäche und Flüsse muss man schwimmen,
das über Wasser bleiben und das andere Ufer fest im Blick
Tun sich tiefe, steile Abgründe auf, muss man sie durchklettern oder umgehen:
Keine Schlucht ist unendlich.

Wenn aber jede Richtung versperrt
der Horizont ein enger Ring Fels ist
dann musst du dich weich machen
und einer Flüssigkeit gleich durch die Risse gleiten
und fast zerreißen und dich nicht in der Erde verlieren
und in einem freundlicheren Horizont wieder zusammenfinden

Und keine Angst haben, dich doch zu verlieren
denn der Schmerz vergeht
und die Sehnsucht und das Verlangen, noch unzählbare Tage
im Kreis der Lieben zu verbringen
und die Schönheit einer Wiese
und der Wind in den Bäumen

bleiben, bleiben

nur deine Rolle im Spiel wird anders:
du schaust nicht mehr
du löst dich auf in Wiese und Wind
du wirst ein Baum
du gehst und bleibst
und der Schmerz vergeht mit dir
und die Liebe zu Bäumen

bleibt.


12. Juni 2008

Deine schwarze Treue

Für Hilde Domin

Wie auch immer sonnig deine Tage sind
die Erinnerung, ein bunter Baum,
treibt dir auch schwarze Blüten:
So bleibst du deinen Toten treu

vielleicht liebst du diese Treue
sicher ist, sie ist euch ein Zwang

nicht einmal ein Stachel im Fleisch, nichts Fremdes:
Die eigenen Wurzeln und Äste, dein eigenstes Ich -
viele Knospen, nötig und hoffnungsvoll
wurden dir ausgerissen, für immer verweigert.


15. Mai 2008

Cimetiere du Pere-Lachaise

I

In einem Teller auf deinem Grabstein eine Birne
vertropftes Wachs und ein Bild
du, etwas widerwillig
vor einem Canyon
deiner mandelförmigen Heimat.


II

Chopins Grab ist ganz charmelos, trotz der Blumen
Die grosse Buche, du hast sie schwarzweiss fotografiert
Das mittelalterliche Liebespärchen, das ein eigenes Mausoleum bekam
Die alten Herren, die einen wackligen
Spaziergang auf den gepflasterten Wegen unternehmen

Der graue Himmel
Die vielen Grabplatten, die eingestürzt sind und den Blick in die Tiefe von Gräbern freigeben


23. Februar 2008

Cette dame dans le métro

J'ai vu cette dame
dans le métro hier soir

Die Einsamkeit
wiederholt sich hier:
Die Menschen sehen und nie wiedersehen
und sie dann wiedersehen und nie wiedersehen
und niemals mit ihnen sprechen werden.


In der Metro in Paris.

23. Februar 2008

Sonntag, 13. Juli 2008

Die Chemo ist fertig.
Letzten Freitag die letzte, Samstag wegen nicht enden wollenden Brechens zurück ins Krankenhaus, die Antiemetica (= Zeug gegen Kotzen) intravenös... Sehr unangenehm, ein Vorgeschmack auf eine "richtige" Chemo. Sollte mich ein Rückfall erwischen (in 5 Jahren 5%), teilw. Hochdosistherapie. Kein Spass.

Unendliche Erleichterung, weil die Chemo vorbei ist.

Die Aussicht, bei der Bestrahlung im August Teile der Lunge verschmort zu bekommen. 15-20 % verhärten dann, incl. (evtl. subsymptomatischer) kleiner Lungenentzündung. Olympia ade...
Ausserdem wandern die Blutstammzellen aus dem Rückenmark (liegt bis zum Zwerchfell im Bestrahlungsfeld) und Brustbein in die Röhrenknochen von Armen und Beinen, das gibt dann nochmal wie Wachstumsschmerzen. Raffinierte Dinger.
Da Mund und Speiseröhre AUCH im Feld liegen: Schluckbeschwerden, trockener Mund (die Speicheldrüsen werden gegrillt), und ein ausgeklügeltes Mundhygieneprogramm damit die Schleimhaut nicht offene Wunden entwickelt, und die Zähne nicht bröckeln. Die Weisheitszähne müssen außerdem vorher (morgen) raus, vorsichtshalber, weil man während der Therapie nicht operieren könnte - zu schlechte Wundheilung.
Bis dahin schlurfende Schritte und Erschöpfung vom Sitzen.
Halleluja.

Aber das Leben ist schön: Keine Übelkeit mehr, normal essen, Zeit zum Lesen, und bald kommt meine Freundin wieder.
Ist schon alles ganz Ok.
Und ich überlebe ja.